aut. architektur und tirol
Zwischen den Kontinenten
Editorial
Wenn zwei Architekt*innen, beides Welzenbacher-Schüler, Anfang der 1950er Jahre Österreich verlassen, um in El Salvador beeindruckende Bauten zu realisieren, dann ist das schon ein schönes Buch wert. Und eine Ausstellung im Innsbruck Architekturforum aut. architektur und tirol. Und einen Blick auf je ein typografisches sowie ein architektonisches Detail.
Bücher für Architektur sind manchmal späte Grußbotschaften aus der himmelstrebenden Gotik (oder – noch schlimmer und Gott behüte – aus dem stuckbeschwerten Barock), die in die ach-so-kargreduzierte und gleichermaßen material- wie kontextsensitive Gegenwart der Moderne eintreten wie der Pelzliebhaber, der mit umgedrehtem Mantel unbeholfen versucht, die Scham seiner Leidenschaft zu verbergen. Bleibt meist, sich weder für das zu große Format, das zu schwere Buch und die zu monotone Textgestalt (natürlich Grotesk!) zu entschuldigen, noch für die zu menschenleeren, leblosen Bildkulissen. Manches von dem, was heute »Architekturbuch« genannt wird, ist auf fast rührende Weise skulptural und dient, man kann es nicht anders nennen, vor allem dazu, das Versagen weiter Teile der Gegenwartsarchitektur – ihre Verschwendungssucht, Maß(stabs)losigkeit, Gigantonomie, Monotonie – im Umweg über text- und bildgewaltige Inszenierungen zu kaschieren.
Zum Glück brauchen wir solche Bücher nicht machen. Dafür andere, deren Charme sich aus ihrer ganz und gar ungewöhnlichen Geschichte ergibt, und zwar folgender: »Im Frühjahr 1952 folgt ein junges Architektenpaar aus Österreich einem Aufruf der Regierung El Salvadors, die nach ausländischen Fachkräften für die Umsetzung großer staatlicher Bauprogramme sucht. In den folgenden Jahrzehnten werden Ehrentraut Katstaller-Schott (1924–2024) und Karl Katstaller (1921–1989) zu bedeutenden Protagonist:innen der architektonischen Moderne des zentralamerikanischen Landes. Sie bauen Schulen, Märkte und Rathäuser, realisieren öffentliche Verwaltungs- und Kulturbauten, später auch eine Vielzahl von Projekten für private Auftraggeber.« (aus dem Klappentext). – Und wie sie bauen! – Allerschönste europäische Moderne eingepflanzt in lateinamerikanischen Boden. Und was daraus gewachsen ist, das – man kann das ohne fahlen kolonial-imperialistischen Beigeschmack sagen – lässt sich als eine Begegnung unterschiedlicher Kulturen und geografisch-mentaler Perspektiven beschreiben, wie man sie sich vielleicht wünschen kann: Einerseits eine starke, universell gedachte Idee von Baukultur, die durch die topografischen und klimatischen Bedingungen El Salvadors entscheidend mitgeformt wurde; und andererseits ein zutiefst menschlicher Blick auf die eigentliche Grundlage jedweden Bauens, der sich in folgendem Zitat Ehrentraut Katstaller-Schotts ausdrückt: »Der Architekt hat hier mehr als anderswo nicht nur künstlerische, sondern auch soziologische Aufgaben. Er muss mithelfen, mit geringen Mitteln Wohnraum, Schulen und Spitäler zu schaffen, die den Notwendigkeiten entsprechen.« – Anders gesagt: Mit geringen Mitteln Schönes zu schaffen.
Die beiden Innsbrucker Architekturpublizistinnen Ivona Jelčić und Nicola Weber haben 2023 für das aut. architektur und tirol vor Ort in El Salvador recherchiert, sich auf Spurensuche nach den letzten Resten der Bauten der beiden Architekt*innen begeben, waren zu Besuch in ihrem erhalten gebliebenen Atelier und konnten noch mit der fast 100-jährigen Ehrentraut Katstaller-Schott sprechen, ehe sie 2024 verstarb. Auf den Weg gebracht wurde dieses Projekt unter anderem auch deshalb, weil ihre Enkelin, Rachel Katstaller, in Innsbruck lebt und man sich (Innsbruck ist ja recht übersichtlich) irgendwann über den Weg gelaufen war, womit eine Idee geboren war, die bei Arno Ritter, dem Leiter des aut, wenig überraschend auf weit geöffnete Ohren stieß. Und so entstanden einerseits eine Publikation mit Titel „Zwischen den Kontinenten“, die erste umfassende Darstellung zu Leben und Werk der beiden Österreicher*innen, die insbesondere auch die Geschichte einer Pionierin des weiblichen Architekturschaffens in El Salvador beleuchtet; und andererseits wurde für das aut mit den umfangreich gesammelten Materialien eine kleine, aber sehr feine Ausstellung gestaltet.
Die Buchgestaltung nimmt Bezug auf gestalterische Details, die sich aus den Planzeichnungen, den – übrigens wunderschön handgezeichneten – Perspektiven und anderen besonderen architektonischen Details herleiten: Zum Beispiel die bei vielen Bauten anzutreffenden, luftdurchlässigen Fassaden, die in zahlreichen Varianten überaus grafische Muster ergeben, worauf sich die Titelgestaltung mit ihren gestanzten Öffnungen bezieht, durch die hindurch der Blick auf die vor dem Atelierfenster der Katstaller-Schotts liegende grüne Wildnis fällt. Die Typografie zitiert eine in den Legenden der Planzeichnungen verwendete Schrift: Eine konstruierte Serifenlose mit deutlichen Bezügen zu Art-Deco-Schriften, wie sie im Umfeld der modernen Architektur der 1920/30er Jahre nicht selten verwendet wurde. Vom in Nordamerika (vor allem in Kalifornien) zeitgleich überaus erfolgreich tätigen, österreichischen Architekten Richard Neutra stammt denn auch die Vorlage für die im Buch verwendete Schrift, die Neutraface, die 2002 von Christian Schwartz zu einer umfassenden Schriftfamilie ausgebaut wurde (der Gestalter des Buchs hat diesen bekannten US-amerikanischen Typedesigner übrigens 2011 in den WEI SRAUM. Designforum Tirol eingeladen und kennengelernt – eine prägende Begegnung).
„Zwischen den Kontinenten“ ist ein Lese- und Schaubuch: Vier locker von Bildern begleitete Textbeiträge ergeben den ersten Teil der Publikation, der zweite Teil widmet sich der Darstellung ausgewählter Werke, in dem neben den bereits erwähnten Zeichnungen auch die vielfach erhalten gebliebenen Fotografien von Ehrentraut Katstaller-Schott Eingang gefunden haben. Das Format wurde so gewählt, dass es der längeren Lesetexte wegen gut in der Hand liegt, die Anordnung der heterogenen Bildmaterialien ist locker gehalten, einem »Familienalbum« nicht unähnlich, wo unterschiedlichste Fotogrößen und Sammelstücke wie zufällig nebeneinander Platz nehmen (und ja: der Zufall ist meistens schwieriger zu arrangieren als ein streng regelgeleiteter Bildraster).
Wir freuen uns über dieses gleichermaßen spannende und interessante wie auch »appetitlich« gestaltete Architekturbuch – das so gar nicht wie ein typisches Architekturbuch sein will. Und sich vielleicht auch deshalb innerhalb kurzer Zeit über einen erfreulich großen Käuferkreis erfreuen durfte.
Die Typografie leitet sich her von den in den Planzeichnungen verwendeten Schrift für die Legenden: Eine konstruierte Serifenlose mit deutlichen Bezügen zu Art-Deco-Schriften, wie sie im Umfeld der modernen Architektur der 1920/30er Jahre nicht selten verwendet wurde.
Projektbeschreibung